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Tschengla

Immer wieder war die Tschengla Ziel von Erwin Thurnher, sowohl beruflich aus auch privater Natur...

Besondere Fotos - Tschengla

Das wahrscheinlich bekannteste Bild von Erwin Thurnher: Es zeigt die Schriftstellerin Monika Helfer (links) kurz nach ihrem 5. Geburtstag (*18. Oktober 1947) mit ihrer älteren Schwester Gretl als Kinder auf der Tschengla, einem Naherholungsgebiet bei Bürserberg. Das Bild entstand am 27. Oktober 1952 nach einem frühen Wintereinbruch. Der Vater der beiden Kinder, Johann Helfer (1922-1989), war damals Leiter des Kriegsopfer-Erholungsheim auf der Tschengla und die Familie lebte ganzjährig dort. Mit dem früher Tod der Mutter war es vorbei mit dem "weitläufigen Paradies" und die Kinder mussten zu einer Tante in eine beengte Wohnung nach Bregenz ziehen. Das Foto wurde von vielen Medien während der Präsentation des Buches "Vati" von Monika Helfer in den deutschsprachigen Zeitungen veröffentlicht. Erwin Thurnher hatte die Kinder immer wieder bei seinen Aufenthalten auf der Tschengla fotografiert. Er war beruflich (Landesinvalidenamt), aber auch privat dort, denn die Faszination der umliegenden Bergwelt, aber auch die Tschengla selber, lockte ihn immer wieder hierher.

Hanno Thurnher stellte nach der Ditgitalsierung des Archivs seines Vaters durch einen Zufall den Zusammenhang her. Bei der Recherche im Internet über das Gebiet der Tschengla stiess er auf einen Artikel von Monika Helfer über ihre paradiesische Kindheit, wie sie die Zeit dort beschieb. Thurnher erinnerte sich daraufhin, dass er bei einem Negativstreifen die Anmerkung "Kinder von Joh. Helfer" gelesen hatte. Nachdem Aufnahmedatum und Geburtjahr des Kindes irgend-wie plausibel waren, nahm er Kontakt zu der Schriftstellerin auf...

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Febersonne

Aus dem froststarren Tal führte der Weg in weitem Zickzack der strahlenden Höhe entgegen. Die grauen Schatten eines noch kaum recht erwachten Morgens hängen wie eine drückende Last über dem Dorf, liegen düster auf den kahlen Hängen und dem nackten Gefels, die dem Tal in schwindelnden Höhen einen zerklüfteten Abschluß verleihen. Ein weißblauer Himmel spannt sich von Fels zu Fels. Tief verschneit liegt das Dorf im allmählichen Erwachen aus betäubendem Schlaf. Aus ergrauten Kaminen ringels sich bläulicher Rauch in die frostklare Luft. Hell tönt das Knirschen der Schritte durch den Morgen und vertraute Gebimmel der Hölzlerrosse, die schnaubend taleinwärts ziehen. Die ersten Strahlen der Sonne berühren zaghaft den starrenden Fels hoch über dem Wald, entlocken dem strengen Gesicht das erste versöhnliche Lächeln. Mein Weg führt am eisüberdachten, dumpfbrummenden Bach entlang bergauf, mehreren halb verwehten und gerade noch erkennbaren Schritten nach. Bald ist es nur noch eine einzelne Spur, die sich aber schnell genug abseits verliert. Jetzt geht es weiter im tiefen Schnee, Schritt für Schritt den verwischten Konturen des langhingezogenen Weges nach. Manchmal sinken die Füße jäh ein, kommen nur mühsam aus der hartgefrorenen Unterlage wieder heraus. An tiefverschneiten blockhölzenen Heubargen geht es vorbei, deren Dächer die Schneelast fast zu erdrücken droht. Der Wald steht stumm in festlichem Kleid, würdevoll den Blick zu Tal gerichtet.

Jäh offenbart sich das Wunder: Die Sonne ist da mit all ihrer Pracht. Hinter der steilen Wand der Bäume liegen die weiten Halden in strahlendem Licht, und über ihnen stehen die kristallenen Häupter der Bergriesen wie gigantische Kulissen, gleich märchenhaften Gebilden aus einer anderen Welt. Ein tiefblauer Himmel sendet Licht und Wärme nieder, die kein Lüftchen kühlt, und die dem Wanderer aus dem kalten Tal schier unglaublich und unerträglich scheinen will. Um die stillen Hütten dampfen noch die letzten zarten Nebelschleier und verdunstenden Wassers. Goldenen Lichtschein zaubert der Firn auf das rohe Blockholz der Bargenwände, und von den eisgeschmückten Rinnen tropft das Wasser. Das war noch der gleiche Winter, wie er im Spätherbst des vergangenen Jahres so jäh über Hochgebirge und Bergtäler her
eingefallen war und deseen so frühzeitigen Einzug wir an jenem trüben, nebelverhangenen Oktobertag hier im Zalimtal miterlebt hatten. Wir waren damals mit der Hoffnung hier her gekommen, in mittlerer Gebirgslage besseres Wetter als unten im regnerischen, nebligen Rheintal zu finden. Es schien zuerst auch tatsächlich besser, denn der Nebel hatte sich aufgelöst und die Berge standen in freier Sicht.

Wir freuten uns darüber und bewunderten vor allem die schon weit fortgeschrittene bunte Verfärbung der Laubwälder, die hier in diesem kleinen Nebental des Brandnertales immer besonders eindrucksvoll ist. Aus dem warmen Braun der Buchen leuchtete das feurige Gold der Ahorn, und in den Mulden stand der Buschwald in festlichem Schick. Aber nicht lange dauerte der Lichtblick, denn schon bald trieben Nebelschwaden aus dem Tal herein, und ein feiner dünner Regen kam auf, der sich verstärkte und zuletzt einem unaufhörlichen Gießen aus dem grauüberzogenen Himmel glich. Wir suchten Schutz in der nahen Brüggelealpe und fanden ihn in einem engen, sauber aufgeräumten Alpstübchen, auf dessen rohgezimmertem Tisch es sogar Zeitungen und Illustrierte gab, deren Aktualität allerdings längst abgelaufen war. Endlos dauerte der Regen, und als wir nach Stunden hinaustraten in den stürmischen Tag, schimmerte durch eine schmale Nebellücke, die der Wind eben kurz aufgerissen hatte, Neuschnee auf den felsigen Abhängen des Talkessels. Und der Neuschnee war tiefer gekommen und hatte uns bis weit hinab verfolgt. Der gewaltige Gegensatz dieser beiden Tage wurde mir jetzt so recht bewußt, als ich in der seligen Wärme dieses Febertages an der goldbraunen Balkenwand einer Heuhütte träumte und zu den gleißenden Firnfeldern emporsah. Und wieder einmal mehr erkannte ich, daß es die Sonne ist, die uns im Leben alle Freude bringt.

 

Erwin Thurnher (1954)
 

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